Die vergessliche Stadt

Das Brummen eines Motors, ab und zu übertönt von Hupen. Ich öffnete die Augen und gewöhnte sie an die Dunkelheit. Um mich herum bekannte Gegenstände, nicht im Zimmer, in dem sie zuvor standen. Als hätten die Habseligkeiten und ich uns auf den Weg gemacht. Mir fiel nicht ein, wohin die Reise ging.

Lautes Quietschen, der Boden glitt unter meinen Tatzen weg. Ich wich einer stürzenden Schirmlampe aus und stolperte über den Knochen.

„Hörer“ hatte der Alte ihn immer genannt. Eine schwarze Nabelschnur verband den Schädel mit seinem quadratischen Mutterkörper. Jeden Morgen hatte der Alte seine Finger in die unzähligen Löcher darin gedrückt. Wie leblose Augen zitterten sie in ihren Höhlen zurück, bis sein Finger sie wieder drehte, begleitet von einem Trrr, Trrr, Trrr. Was machte der Alte jetzt nur ohne seinen Hörer?

„Ist jemand im Laderaum?“ Fremd war die Stimme. Ich hielt ein Ohr an den Schädel. Das Geräusch entsprang nicht dem Gerät. Eine Tür öffnete sich. Ich nahm die Schnur in mein Maul und sprang durch den Spalt ins Licht. Die graue Kröte stolperte hinter mir her, kreischte, als sie auf dem Asphalt aufschlug. Ich kroch unter ein Auto, rannte zwischen unzähligen Reifen weiter und erwartete das Ende der Straße. Nach einer Weile gab ich auf und hüpfte an den Straßenrand.

„Unendlich“, hatte der Alte die Stadt genannt, mit Blick aus dem Fenster auf den Obstladen an der Ecke, der keine hundert Sorten Obst mehr verkaufte, sondern Handys, und in den Knochen hineingerufen, „es werden immer mehr Straßen, Hochhäuser und Moscheen. Die Stadt verliert ihr Gesicht“. Ich fragte mich, wer ihm zuhörte.

„Ich verliere mein Gedächtnis? Die Stadt verliert ihren Verstand viel schneller als ich!“ Tag für Tag fiel es seinem Finger schwerer, die Löcher zu treffen. Dann kam sie, elegant wie eine Malteserkatze, und nahm ihn mit. Zittrig war der Alte, als ich ihn das letzte Mal sah. In den Knochen schrie er, als würde niemand ihn hören, drückte den Apparat an seinen Mund, immer verzweifelter, steckte ihn mit der Nervosität seiner Lippen an. Sie nahm ihm den Knochen aus der Hand und sagte, sie würden mich später holen. Mit den Möbeln.

Am Straßenrand folgte ich einer schnurrenden Vagabundin, die mich durch Baustellen und Ruinen führte. Mal roch ich gegrilltes Fleisch, dann gekochten Mais. Mein Magen knurrte. Auch die Brünette litt an Hunger, denn in einem Treppenaufgang schnappte sie zu. Fiepend lag die Maus in ihrem Maul, ich hörte das Herz puckern. Trrr, Trrr, Trrr. Ein winziger Metabolismus, durch den das Blut noch drängte, dessen Lebensschnur gleich zerrissen werden würde.

Nach tagelangen Streifzügen fand ich zurück zum Haus. Es war von einem Metallzaun umklammert wie von einem Tigermaul, Schutt blutend, die Fenster wie eingedrückte Augen. Ich hörte, wie jemand rief, aber das war nicht seine Stimme. Sie war es. Noch lieblicher als beim letzten Mal.

„Mietze, da bist Du ja! Wie hast Du nur wieder hierher gefunden? Wir bringen Dich zu ihm, was meinst Du? Aber Du darfst nicht wieder ausbücksen!“

Didem Ozan, September 2018